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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.03.2006

Mit dem Internet sieht der Steuerfahnder alles

Martin Varsavsky ist wütend - auf die Suchmaschine Google. Die spanischen Behörden sind dem Internet-Millionär auf die Schliche gekommen, daß er in seinem Garten einen Swimmingpool ohne Baugenehmigung gebaut hat. Für die Entdeckung haben sich die Beamten aber keinen Zentimeter vom Schreibtisch wegbewegen müssen. Ein Klick auf die Luftbildaufnahmen von Google hat genügt, um in Varsavskys Garten schauen zu können. "Google ist immer auch ein Google-Paparazzo", klagt Varsavsky. Inzwischen nutzen sogar deutsche Steuerfahnder die Suchmaschine, um Steuerhinterziehern, die ihr Schwarzgeld in Häuser investiert haben, auf die Schliche zu kommen.

Luftbilder, die von Satelliten oder aus Flugzeugen geschossen werden, zeigen jede Stadt, jedes Haus und bald auch jeden Stein in Deutschland gestochen scharf auf dem Bildschirm. Gebraucht werden die Fotos für lokale Suchdienste: Mit wenigen Klicks lassen sich Routen am Bildschirm exakt zeigen. Öffentliche Gebäude, Restaurants, Ärzte, Kaufhäuser oder Klempner - einfach alles, was irgendwo im Internet steht oder in einer zugänglichen Datenbank verzeichnet ist, läßt sich mit den lokalen Suchdiensten finden.

Die Luftbilder im Netz sind aber keine simplen Abbildungen, sondern mit Daten aller Art unterfüttert: Zu den Restaurants sind zum Beispiel Öffnungszeiten, Speisekarten und Bewertungen in der Datenbank hinterlegt; zur S-Bahn-Haltestelle gibt es auf Wunsch den kompletten Fahrplan. An der Übertragung der Dienste auf die Handys wird bereits mit Hochdruck gearbeitet. "Google wird seine lokale Suche in Deutschland zeitgleich im Internet und auf mobilen Geräten starten. Karten lassen sich dann auf Handys heranzoomen", sagt Stefan Keuchel von Google.

Bankautomaten und Briefkästen werden angezeigt

Die moderne Form der Gelben Seiten verspricht Milliardenumsätze mit lokaler Werbung oder Kleinanzeigen, die bisher an den Internetunternehmen weitgehend vorbeigegangen sind. Rund ein Viertel aller Suchanfragen im Netz haben einen lokalen Hintergrund. Schon in diesem Jahr wachse der Weltmarkt um mehr als 30 Prozent auf 3,4 Milliarden Dollar, hat das amerikanische Marktforschungsunternehmen Kelsey Group errechnet. Von diesem Markt wollen die Internetunternehmen einen großen Teil haben. "Das heute schon eine Milliarde Euro schwere Geschäft der Branchenbücher in Deutschland wird Schritt für Schritt ins Internet verlagert", sagt Web.de-Chef Matthias Greve. In Deutschland hat daher ein Wettrennen aller großen Internetunternehmen um den lokalen Suchmarkt eingesetzt: Web.de hat seinen lokalen Dienst am Mittwoch gestartet; die Telekom wird mit ihrer Tochtergesellschaft T-Info am Montag folgen.

Google hatte zunächst Schwierigkeiten, die notwendigen Daten einzukaufen, ist aber inzwischen fündig geworden und wird kurz nach der Computermesse loslegen. Konkurrent Yahoo will sein lokales Angebot im ersten Halbjahr in Betrieb nehmen. Geschlagen wurden sie aber alle vom Telegate-Gründer Klaus Harisch, der mit seinem neuen Unternehmen Varetis den Dienst Go Yellow schon seit Februar anbietet. "Ein Jahr haben wir an dem Dienst gearbeitet. Dafür sind jetzt alle 3,2 Millionen Gewerbetreibende in Deutschland, Fahrpläne der Busse und Bahnen, Radarkontrollen und sogar Vogelgrippe-Gebiete auf den Karten zu finden", sagt Harisch. Neue Funktionen wie die Suche nach Bankautomaten oder Briefkästen sind in Arbeit. "Mit Webcams lassen sich auch Live-Bilder zeigen", sagt Harisch. Vor dem Besuch des Berliner Reichstags läßt sich dann im Internet die Länge der aktuellen Warteschlange prüfen.

Zusammenführung von Datenbanken und Nutzerdaten

Erzrivale T-Info startet seine lokale Suche am kommenden Montag in einer vorläufigen Beta-Variante. "Aus der Internetseite T-Info.de wird dann Suchen.de", sagt Ben Broshi, Strategiechef der Telekom-Tochtergesellschaft. Aus Rücksicht auf die bestehenden Geschäfte wie das Telefonbuch oder die Gelben Seiten hat T-Info die Daten für die lokale Suche neu zusammengestellt und ein eigenes Produkt programmiert. "Egal, was Sie suchen, wir finden es - vom Bäcker bis zur Yoga-Gruppe", verspricht Broshi. Dafür hat T-Info vorhandene Datenbanken mit den Informationen auf Internetseiten gekreuzt. Suchen.de sei aber nicht die neuen Gelben Seiten. "Die Überschneidungen halten sich in Grenzen", sagt Broshi. Auch T-Info hat schon klare Vorstellungen über die nächste Generation der lokalen Suche: "Wir werden das Angebot so schnell wie möglich auf das mobile Internet übertragen. Denkbar sind auch lokale Fernsehkanäle, die über die DSL-Leitung übertragen werden", sagt Broshi.

Web.de hat in Kooperation mit Yellow Map 50 Datenquellen zu einer großen Datenbank verknüpft. "Wir haben jetzt 4,8 Millionen Einträge in unserer Datenbank. Die Suchtreffer werden nach Entfernung sortiert", sagt Greve. Allerdings zeigt Web.de keine Luftbilder, sondern lediglich Landkarten. Beim Internetportal Yahoo wird ebenfalls intensiv an einem Landkartendienst gearbeitet. Ein Vertrag mit einem Lieferanten der Luftbilder ist aber noch nicht unterschrieben, so daß Yahoo zunächst nur mit Landkarten aufwarten kann. Allerdings verfolgt Yahoo eine andere Strategie: "Wir wollen die lokalen Datenbanken mit Nutzerdaten zusammenführen. Auf diese Weise läßt sich zum Beispiel unser Dating-Dienst mit der lokalen Suche verknüpfen, wenn der Nutzer das möchte", sagt Volker Glaeser von Yahoo. Communities ließen sich lokal gut aufbauen. "Die Frage nach dem besten Bäcker oder Zahnarzt in der Nähe kann nur eine lokale Community beantworten", sagt Glaeser.

Internetnutzer können kostenlos anrufen

Die Geschäftsmodelle aller Unternehmen bauen im wesentlichen auf lokale Werbung. "Restaurants oder Kaufhäuser können auf den Kartenausschnitten, auf denen sie zu sehen sind, Werbung schalten", erklärt Varetis-Chef Harisch. Die inzwischen mehrere tausend Werbetreibenden zahlen heute einen pauschalen Betrag an ihn. Web.de hofft ebenfalls auf Kunden, die dafür zahlen, auf der Landkarte besonders markiert zu sein. "Damit haben auch Kunden ohne Internetseite die Möglichkeit, im Netz gefunden zu werden", sagt Greve

Harisch hat sich zusätzlich noch eine weitere Erwerbsquelle ausgedacht. "Internetnutzer können kostenlos bei den Unternehmen anrufen. Die Rechnung zahlt im ersten Schritt Go Yellow, am Ende natürlich das Unternehmen, für das wir einen Kundenkontakt generiert haben", sagt Harisch. Auch T-Info will die Anruffunktion einbauen. Auf die Bezahlung der Kundenkontakte setzt Yahoo, zum Beispiel im Autogeschäft: "Wir verknüpfen die lokale Suche mit unserer Produktsuchmaschine Kelkoo. Anfragen nach Autos lassen sich dann mit präzisen Standortangaben beantworten. Die Kundenkontakte lassen sich dann abrechnen", erklärt Glaeser das Modell.

Text: ht., F.A.Z., 09.03.2006, Nr. 58 / Seite 14
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